Le bruit [franz.]: Geräusch; Rauschen; Lärm
Es war einmal war einmal
Über das Verschwinden des Bilds im Werk von Anna Maria Schönrock
[Text von Günter Baumann]
»Ich ging selbst in den Stall, sattelte mein Pferd und bestieg es. In der Ferne hörte ich eine Trompete blasen, ich fragte [den Diener], was das bedeutete. Er wusste nichts und hatte nichts gehört.«
(Franz Kafka, aus: Der Aufbruch)
Die Welt, die uns Anna Maria Schönrock vor Augen führt, lebt aus dem Geheimnis heraus. Es zu ergründen, verführt uns zwar zu anekdotischen Quellgründen, deren Ursprünge bleiben jedoch rätselhaft: Reiter, Porträts, Tierbilder, Waldstücke – alles irgendwie verwunschene Motive, mit einem kafkaesken Einschlag, sprich: die Protagonisten agieren in einer Scheinrealität bzw. Sur-Realität, die sie nicht durchschauen, genauso wenig wie der Betrachter. Die dargestellten Menschen und Tiere wirken, als seien sie einer Märchenwelt entsprungen, und hätten dabei verpasst, woanders anzukommen. Als stünden sie noch mit einem Bein im Paradies – und hätten doch vergessen, worin ihre ›Schuld‹ oder gar ihre ›Unschuld‹ besteht, die sie verloren haben sollen. Das Paradies mag nebenan liegen, ist aber unerreichbar, und auch die Märchenwelt ist zur Utopie, zum Nichtort geworden.
Eine derartige Seinsverlorenheit hat mit der Postmoderne zu tun, die sich – im Gegenentwurf zur Moderne, die mit der Existenznot und dem Verlust der Mitte, überhaupt mit der Entgrenzung in allen Lebensbereichen bewusst als gegeben umgeht –, Fragen stellt nach dem Woher und Wohin. Damit drängt sich allerdings eine Erkenntnis schmerzhaft nach vorne: Die Welt, von der wir glaubten, sie sei erschlossen und im Sinne des Wortes aufgeklärt, erweist sich als geheimnisvoller, ja unheimlicher denn je. Der Mythos und die Sinnlichkeit kehrten zurück. Anna Maria Schönrock gehört zu einer Generation junger Künstler, die inspiriert sind von den privatmythischen Mehrdeutigkeiten etwa der neuesten Leipziger Schule, doch auch getrieben von einem erstaunlichen Gespür für die reine Peinture. Es gibt sehr figurative Arbeiten, aber gleichermaßen extrem abstrahierte Werke in Schönrocks Schaffen, wobei sie da am stärksten ist, wo sich diese Ebenen mischen. Laufend werden deren Wahrheiten hinterfragt, ertastet – wohl wissend, dass sie im Zeitalter der virtuellen Realität und der medialen Verunsicherungen kaum mehr greifbar sind, von ›der‹ Wahrheit ganz zu schweigen.
Das mag den Glauben an Mythen und Märchen beflügeln. Sie kommen quasi als entrückte Welten auf uns zu – etwa ein Wald, der zwar lichte Stellen nach oben aufweist, aber im Unterholz schwer zugänglich zu sein scheint; oder ein König (»King«), der offenbar entblößt und weitgehend gesichtslos grade noch den Schein einer lächerlichen Krone trägt. Anna Maria Schönrock vermeidet es, Vorder- und Hintergründe klar gegeneinander abzugrenzen: Gerade die handelnden Personen gehen im irrlichternden Umraum verloren. Reiter (»Crossing«, »Two«)sind allenfalls noch in ihrer Silhouette, sichtbar, gemahnen an vergangene Zeiten, und da, wo der Reiter (»Goldener Reiter«) ein wenig Gestalt gewinnt, sitzt er auf einem goldenen Pferd, dessen Sockel und künstliche Färbung die Gruppe als recht unwirkliches Standbild zu erkennen gibt. Genauso fern wirken die jungen Frauen bzw. Mädchen (»Le Bruit«, »Ohne Titel«), die gedankenversunken zu Boden blicken, der kaum halt in einem Grund bietet. Sind schon die beiden Einzelreiter samt Pferd nahezu austauschbar, als handle es sich um Schablonen, so könnten auch die Mädchen Schwestern in Haltung und Erscheinung sein. Die Künstlerin spielt mit der Entpersönlichung, konfrontiert die anonyme Figur mit dem fragwürdigen Pathos ihrer Posen – so in Arbeiten wie »Hero« oder »Celebration«.
Die Brüchigkeit herkömmlicher Realitäten korreliert mit der verblassenden Historizität. Man denke an das sich auflösende »Wappen«, in dem sich möglicherweise eine Landschaft spiegelt. Alles changiert, verändert sich: Metamorphosen des Seins. Zum spielerischen Umgang mit dem Bild kommt auch der mit der Sprache. Veraltete Betitelungen – das Wort »Ziefer« für Federvieh gibt es nur noch in seinem Gegenstück des Unge-ziefers – konkurrieren mit eher jugendsprachlichen Bezeichnungen (»Starboy«), doch immer bleibt etwas Unbehagliches: beim einen Werk ein drastisches Stillleben mit toten Tieren, beim anderen ein schemenhaft flackerndes Antlitz. Der Übergang in surreale Szenarien ist klein, sei es, dass ein Tierkopf (»Head«) so dämonisch daher kommt wie etwa ein Nachtalp des schweizerisch-britischen Sturm-und-Drang-Malers Johann Heinrich Füssli, sei es, dass ein gespenstisch anmutender Tierwärter (»The Transport«) mit zwei Pinguinen im Arm durch die Nacht schreitet.
Wenn sich die Unwirklichkeit im Schönrockschen Schaffen Bahn bricht, die hiesige Welt schon einer fernen, phantastischen gleicht, wundern einen die Raum- und Luftpiloten kaum, die mit aufgesetztem Helm dran erinnern, dass jene Welten nicht den bekannten entsprechen, aber in der Phantasie erobert sein wollen – so will man es in die fast realistisch gemalten Büstenporträts (»You can start again«, »Bowie«) hineinlesen. Hinter dem Visier, so weiß man, kann das Gesicht nicht klar umrissen sein. Aber die umwehrten Köpfe gehen zugleich auf Distanz, im Gegensatz zur Fauna, die in einer Reihe porträthafter Säugetiere (»Äffchen«, »Ape«, »Koala«) den Bereich von Realismus und Abstraktion ad absurdum führen.
Anna Maria Schönrock erschafft eine verzauberte Welt, ohne Zweifel an deren Unwirklichkeit entstehen zu lassen. Indem sie mythische, anekdotische, private Elemente mischt, gewinnt sie klassischen Genres wie der Landschaft, dem Stillleben, dem Porträt oder dem Historien-/Mythenbild neue Impulse ab. In luftigen Wolkenbildern oder auch nahezu abstrakten Naturszenen (»Schnee«) entwickelt die Malerin eine poetische Kraft, die sich in anderen Kontexten durchaus offenen Auges in lapidare Capriccios (»Home«) verflüchtigt oder im Schrecken der Schönheit aufgeht (»Ziefer«).