Mit einer Fläche von fast 350.000 Quadratkilometern und einer Länge von 2.300 Kilometern gilt das Great Barrier Reef vor der Nordostküste des australischen Bundesstaates Queensland als größtes Korallenriff der Welt. Die UNESCO erklärte es 1981 zum Weltnaturerbe.
Korallen sind Nesseltiere. Zahlreiche Einzeltiere, die Polypen, scheiden Kalk ab und bilden gemeinsam mit anderen kalkabscheidenden Organismen die Korallenriffe. Sie leben mit einzelligen Algen in Symbiose. Steigt die Wassertemperatur, wie in den letzten hundert Jahren geschehen, gerät das hoch empfindliche Ökosystem aus dem Gleichgewicht. Die Temperaturerhöhung löst Stress aus – die Polypen stoßen ihre für ihr eigenes Überleben auf Dauer unentbehrlichen Partner ab. Äußerlich ist das an einem Farbverlust zu erkennen. Die Koralle bleicht, da das durchscheinende Kalkskelett sie weiß erscheinen lässt. Ein Zustand, der die Korallen besonders anfällig für Erkrankungen macht. Eine Zeit lang können sie die Abwesenheit der Algen kompensieren, aber wenn der Stressfaktor nicht nachlässt, stirbt das Tier ab.
Seit vielen Jahren ist auch das einzigartige Great Barrier Reef massiv bedroht. Steigen die Temperaturen weiter ans, wird das Riff nach Meinung von Forscher*innen in etwa 25 Jahren gänzlich abgestorben sein.Die Nachricht über das sukzessive Absterben unserer Korallenriffe hat auch die Künstlerin Anna Maria Schönrock erreicht und gaben den Anlass für eine neue Werkgruppe. So zeigen zwei Großformate eben diese bleichenden Korallenlandschaften: Einzelbilder, die jedoch inhaltlich und malerisch korrespondieren, sich gegenseitig ergänzen und potenzieren.
Trotz dieses sehr konkreten gesellschaftlichen und umweltpolitischen Kontextes sind diese neuen Bilder von Anna Maria Schönrock zunächst einmal hoch ästhetische Landschaften, die von einer großen Sensibilität im Umgang mit den elementaren Fragestellungen der Malerei nach Form und Struktur, nach Farbe und Komposition, nach Räumlichkeit und Flächenaufteilung geprägt sind.
Auch gelingt es der Künstlerin, diese Werke so ausgewogen zu komponieren, dass sie sich einem definierten Bildzentrum gänzlich zu verweigern scheinen. Kein gegenständliches Motiv und keine abstrakte Struktur lenken unsere Aufmerksamkeit an einen konkreten Ort auf der Leinwand. Unsere Blicke schweifen über die vertrauten und zugleich fremdartigen Landschaften, über die amorphen Strukturen, über Korallen, die wie Stalagmiten geisterhaft aus dem Boden wachsen, über Korallenbündel, die an menschliche Organe oder auch Blütenkelche erinnern.
Zugleich bewegen sich diese Landschaften klug zwischen den zentralen malerischen Gegenpolen und vermeintlichen Antagonismen Abstraktion und Gegenständlichkeit. Die Formationen scheinen immer wieder die Frage aufzuwerfen, an welchem Punkt aus einer wolkigen, amorphen Struktur ein für uns konkret benennbares Objekt wird. An welchem Punkt muss die Komposition motivisch ambivalent sein, muss die Darstellung offenbleiben, um als Bild zu funktionieren? Und an welchem Punkt muss das Motiv konkretisiert werden, damit aus kristallinen Strukturen für uns – beispielsweise – ein bleichendes Korallenriff werden kann.
Auch für andere Bildwerke der Ausstellung können wir diese Fragen formulieren:
An welchem Punkt wird eine Komposition aus verschiedenen Grüntönen zu einem Urwalddickicht, zu subtropischer Vegetation, zu einem verwilderten Regenwald? Wann wird aus einem geisterhaft aus dem Nebel auftauchenden Wesen ein konkret benennbares Tier oder aus einer zunächst geometrisch konstruierten, seltsam kastigen Bildkomposition das Porträt eines Astronauten? Wo verläuft also diese ominöse Demarkationslinie, an der eine abstrakte Form zu einem benennbaren Gegenstand wird? Motivisch und malerisch verharren all diese Bilder, aber auch die ausgestellten Zeichnungen, in einem Schwebezustand, da sich Figuratives und Abstraktes, Deskriptives und Zufälliges, vollendet und unvollendet Scheinendes in einer fragilen Balance permanent zu finden scheinen.
Auch gelingt es der Künstlerin, diese Werke so ausgewogen zu komponieren, dass sie sich einem definierten Bildzentrum gänzlich zu verweigern scheinen. Kein gegenständliches Motiv und keine abstrakte Struktur lenken unsere Aufmerksamkeit an einen konkreten Ort auf der Leinwand. Unsere Blicke schweifen über die vertrauten und zugleich fremdartigen Landschaften, über die amorphen Strukturen, über Korallen, die wie Stalagmiten geisterhaft aus dem Boden wachsen, über Korallenbündel, die an menschliche Organe oder auch Blütenkelche erinnern.
Zugleich bewegen sich diese Landschaften klug zwischen den zentralen malerischen Gegenpolen und vermeintlichen Antagonismen Abstraktion und Gegenständlichkeit. Die Formationen scheinen immer wieder die Frage aufzuwerfen, an welchem Punkt aus einer wolkigen, amorphen Struktur ein für uns konkret benennbares Objekt wird. An welchem Punkt muss die Komposition motivisch ambivalent sein, muss die Darstellung offenbleiben, um als Bild zu funktionieren? Und an welchem Punkt muss das Motiv konkretisiert werden, damit aus kristallinen Strukturen für uns – beispielsweise – ein bleichendes Korallenriff werden kann.
Auch für andere Bildwerke der Ausstellung können wir diese Fragen formulieren:
An welchem Punkt wird eine Komposition aus verschiedenen Grüntönen zu einem Urwalddickicht, zu subtropischer Vegetation, zu einem verwilderten Regenwald? Wann wird aus einem geisterhaft aus dem Nebel auftauchenden Wesen ein konkret benennbares Tier oder aus einer zunächst geometrisch konstruierten, seltsam kastigen Bildkomposition das Porträt eines Astronauten? Wo verläuft also diese ominöse Demarkationslinie, an der eine abstrakte Form zu einem benennbaren Gegenstand wird? Motivisch und malerisch verharren all diese Bilder, aber auch die ausgestellten Zeichnungen, in einem Schwebezustand, da sich Figuratives und Abstraktes, Deskriptives und Zufälliges, vollendet und unvollendet Scheinendes in einer fragilen Balance permanent zu finden scheinen.
Anna Maria Schönrock spielt dabei die Begriffe Abstraktion und Figuration nicht gegeneinander aus. Vielmehr offenbart ihre Malerei die Unzulänglichkeit dieser für unsere Wahrnehmung von Welt prägenden Pole Figuration/Gegenständlichkeit einerseits und Abstraktion/Ungegenständlichkeit andererseits. Übrig bleibt wie so oft die Frage: Sehen wir, was wir sehen, oder sehen wir, was wir wissen?
Mit all diesen Fragen beschäftigt sich die Künstlerin – langsam tastend – während der oft langwierigen Entstehung ihrer Bildwerke. Ihre Gemälde repräsentieren den malerischen Versuch, offen zu bleiben und jenes zuzulassen, was sich aus dem Malprozess heraus ergibt.
Es ist ein visuelles und sinnliches Verwenden von Bildmotiven, ein Kombinieren und Variieren, ein malerisches Erforschen und Erfinden, ein ergebnisoffener und Richtungswechsel zulassender Prozess. Natürlich besitzt die Künstlerin in diesem Prozess die Kontrolle über das Geschehen auf der Leinwand, jedoch schließt diese Kontrolle keine Option aus, die das Potenzial hat, zu überraschen.
Andere Bilder der Ausstellung, allen voran eine Serie aus sechs kleinformatigen Käferporträts, erinnern an naturkundliche Studien wie beispielsweise die des deutschen Zoologen Ernst Haeckel, der in seinem als Komplettausgabe 1904 veröffentlichten Buch „Kunstformen der Natur“ rund 100 Lithographien verschiedener Organismen veröffentlichte: Schnecken, Flechten, Korallen, Quallen, Krebse, Strahlen-, Nesseltiere und vieles anderes mehr. Seine Zielsetzung war, so schreibt Ernst Haeckel 1904, „weiteren Kreisen Zugang zu den wunderbaren Schätzen der Schönheit zu öffnen, die in den Tiefen des Meeres verborgen oder wegen ihrer geringen Größe nur durch das Mikroskop erkennbar sind. Damit verknüpfe ich, aber auch einen wissenschaftlichen Zweck, den Einblick in den Wunderbau der eigentümlichen Organisationen dieser Formen zu erschließen.“ Seine Publikation beeinflusste in hohem Maße die Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und bildete eine Brücke zwischen dieser und der Wissenschaft.
Auch Anna Maria Schönrock interessiert neben den malereiinhärenten Fragen der wissenschaftliche Kontext, und bevor ihre Bilder entstehen, recherchiert sie, sammelt sie, studiert sie Bücher, Faksimile und, wie soll es 2020 anders sein, das Internet. Sie liest über Korallenriffe, exotische Affenarten, Regenwaldvegetation oder auch Käfer, die mit über 350.000 bisher entdeckten Arten die größte Ordnung aus der Klasse der Insekten bilden. Vielleicht erinnern auch deshalb ihre sechs Käferporträts vage an die entomologischen Sammlungen toter und präparierter Insekten, die aus wissenschaftlichem Interesse oder auch ästhetischen Gründen angelegt werden.
Die Reflexion über das Medium Malerei ist den Bildern von Anna Maria Schönrock stets inhärent, jedoch erschöpft sich der Diskurs nicht in reiner Selbstbespiegelung, sondern öffnet sich dem alltäglichen Leben. Wir sehen uns nicht mit einem hermetisch geschlossenen Kosmos konfrontiert, sondern entdecken vertraut erscheinende Repräsentanten unserer Welt. Im Galeriehaus Nord sind diese Repräsentanten vorrangig dem Kosmos der Natur entnommen. Die Begeisterung für die unglaubliche Vielfalt der Natur und die Neugierde für die Mysterien unserer Tier- und Pflanzenwelt verbinden viele Werke dieser Ausstellung. Jedoch geht es nicht nur um die Darstellung ihrer Schönheit, sondern ebenso um die zentrale Frage, wie wir Menschen mit dieser Natur umgehen? Denn keineswegs werden in Anna Maria Schönrocks Ausstellung „Unstable Grounds“ ausschließlich malerische Fragen verhandelt.
(Text: Harriet Zilch)